SIBYLLE-RIED-PREIS

Sibylle_Ried-Preisträger 2021
Sibylle-Ried-Preisträgerin Elisabeth Pless (li.) mit ihrer Assistentin Eva Prechtl
Institut für Epilepsie IfE, Wien

SIBYLLE-RIED-PREIS – Preisträger:in 2021

Der SIBYLLE-RIED-PREIS 2021 wurde verliehen an

Mag.a Elisabeth Pless, Wien und ihr Team vom Institut für Epilepsie IfE

für das Projekt “LEA - Leben mit Epilepsie in der Arbeitswelt”

Am 14.06.2000, vor jetzt schon mehr als 20 Jahren, ist Sibylle Ried in ihrem 44. Lebensjahr durch eine Lungenembolie aus ihrem stets mit 150% Einsatz geführten Leben gerissen worden. Sie war eine Pionierin der heute auch als „Empowerment“ bezeichneten Strategie, das Maß an Selbstbestimmung und Autonomie im Leben von Menschen mit Krankheiten zu erhöhen und sie in die Lage zu versetzen, ihre Belange (wieder) eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten und zu gestalten. Das von ihr inaugurierte Modulare Schulungsprogramm Epilepsie für Patienten MOSES, dessen Evaluation 2001 mit dem ersten Sibylle-Ried-Preis ausgezeichnet wurde und Anregung für die 2007 und 2017 ebenfalls ausgezeichneten Programme famoses und PEPE war, fand entsprechend auch nicht nur im deutschsprachigen Raum Verbreitung, sondern wurde auch ins Englische und Japanische übersetzt.

Hiermit wird der von einem von uns (Günter Krämer) inaugurierte, mit € 2500 dotierte Sibylle-Ried-Preis zum elften Mal vergeben. Das Preisgeld wird üblicherweise durch Zinserträge der Sibylle-Ried-Zustiftung bei der Stiftung Michael generiert, was derzeit wie auch in den vergangenen Jahren aufgrund des für alle Stiftungen sehr problematischen niedrigen Zinsniveaus eines Zuschusses bedarf.

Üblicherweise wird der Preis alle 2 Jahre anlässlich der gemeinsamen Jahrestagungen der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Epileptologie und Schweizerischen Epilepsie-Liga vergeben und richtet sich an alle Berufsgruppen und alle Formen von Publikationen, dokumentierten Aktivitäten und Methoden im deutschsprachigen Raum, deren Ziel eine Verbesserung der Betreuung von Menschen mit Epilepsie und ihrer Lebensbedingungen ist.
[Die bisherigen Preisträger und Projekte finden Sie hier.]

Wir freuen uns sehr, in diesem Jahr Frau Magister Elisabeth Pless aus Graz im Namen ihres Teams für das von ihr seit vielen Jahren erfolgreich betreute Projekt „Leben mit Epilepsie in der Arbeitswelt/Arbeitsassistenz (LEA/AASS)“ auszuzeichnen. Es steht zweifellos in der Tradition des Engagements von Sibylle Ried.

Frau Pless wurde am 18.09.1966 in Melk an der Donau in Niederösterreich geboren. Nach dem Besuch einer Höheren Technischen Lehranstalt (HTL) bis 1985 mit paralleler Matura und Berufsausbildung war sie bis 1990 als Laborleiterin bei einer Pharmafirma tätig. Dann begann sie ein Studium der Chemie, Mikrobiologie und Wirtschaft, das sie mit Unterbrechungen durch zwischenzeitliche Heirat und Geburten 2000 mit dem Magister abschloss. Zur Epilepsie kam sie durch ihren Mann, der als Erwachsener eine Temporallappenepilepsie entwickelte, inzwischen nach 2 epilepsiechirurgischen Eingriffen aber anfallsfrei ist. Diese Erfahrung hat sie mit motiviert, ihre Fähigkeiten und Energien dazu einzusetzen, die individuellen Folgen von Epilepsien abzumildern sowie die gesellschaftlichen und rechtlichen Möglichkeiten zu verbessern.

Im Jahr 2011 hat sie in Bielefeld/Bethel eine berufsbegleitende Ausbildung zur zertifizierten Epilepsiefachberaterin (300 h) absolviert, darüber hinaus auch eine Ausbildung zur MOSES-Trainerin. Sie ist eine regelmäßige Teilnehmerin an Epilepsie-Fachtagungen, u. a. den Dreiländertagung der Deutschen und Österreichischen Gesellschaft für Epileptologie und der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie, dem Ernst-Niedermeyer-Symposium in Österreich, der Fachkonferenz Epilepsie Bayern, Österreichischen und steirischen Gesundheitskonferenz. Sie ist Mitautorin der Broschüre „Leben mit Epilepsie“ der Österreichischen Gesellschaft für Epileptologie und Autorin zahlreicher Beiträge in Fachzeitschrift und Illustrierten zum Thema Epilepsie. Im Auftrag des Sozialministeriumservice leitet sie den ExpertInnenkreises „Leitlinie Epilepsie am Arbeitsplatz“.

Frau Pless ist Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Epileptologie und vertritt die Interessen von Menschen mit Epilepsie in verschiedenen Gremien, u. a. im Beirat für Menschen mit Behinderung der Stadt Graz, der Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Österreich (ARGE SHÖ), des Kinderbüros Steiermark, des Österreichischen Behinderten-Rates (ÖBR), der Österreichischen Plattform für Gesundheitskompetenz (ÖPGK) und des österreichischen Dachverbandes Berufliche Integration (DABEI).

Vor inzwischen gut 10 Jahren, 2010, war Elisabeth Pless Mitbegründerin und seitdem Geschäftsführerin des Institutes für Epilepsie (IfE; einer gemeinnützigen GmbH). Sie ist als Projektleiterin und Beraterin in zahlreichen Bereichen des IfE aktiv. Dies gilt u. a. und insbesondere für die an einem gleichartigen Projekt in Deutschland angelehnte Initiative „Leben mit Epilepsie in der Arbeitswelt/Arbeitsassistenz“ (LEA/AASS). Dabei ist sie mit dem Projektmanagement, der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen und Schulungen, Netzwerkaktivitäten, Vortragstätigkeit, Erarbeitung von Informationsmaterialien sowie Halten von Vorträgen und Schulungen betraut, darüber hinaus mit der Organisation und Teilnahme an Kongressen und Ausstellungen, Einzelfallberatung, Risikoeinschätzungen und Stellungnahmen zur Arbeitsfähigkeit. Seit 2005 hat sie parallel die ehrenamtliche Büroleitung der Epilepsie Interessensgemeinschaft Österreich übernommen.

Das IfE wird durch das österreichische Sozialministerium und Spenden finanziert, war im Verlauf der Jahre aber mehr als einmal hinsichtlich der Finanzierung gefährdet und ohne ausreichende personelle Ausstattung. Elisabeth Pless gelang es immer wieder, ein Netzwerk von gesellschaftlicher und behördlicher Unterstützung einzuwerben (z. B. Sozialministeriumsservice, Gesundheitsfonds Steiermark, Land Steiermark, Sozialamt Graz, Netzwerk berufliche Assistenz). So konnte sie das Angebot sichern und das Team der Beraterinnen und Berater erweitern. Ziel des Instituts war und ist es, Projekte zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Epilepsien und deren Angehörigen zu initiieren und umzusetzen.

Neben dem prämierten Projekt „Leben mit Epilepsie in der Arbeitswelt“ hat das IfE noch weitere Schwerpunkte. Mit dem steirischen Pilotprojekt Epilepsie im Zentrum (EiZ) gibt es inzwischen eine vom Gesundheitsfond Steiermark unterstützte erste Beratungsstelle. Das EiZ hast den 3. Platz in der Kategorie „Schulen und Kindergärten“ des steirischen Kinderrechtepreises („Trau di“) gewonnen. Die 3. Säule des Instituts ist die Epi-Akademie, die Vorträge, Seminare und Workshops rund um das Thema Epilepsie anbietet, z. B. Epilepsie im Kinder- und Jugendalter, Epilepsie am Arbeitsplatz, bis hin zur Pflege und Betreuung von Betroffenen.

Elisabeth Pless hat immer wieder kreative Ideen, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, z. B. mit einer Postkartenkampagne rund um das Thema Epilepsie: „Tief Luft holen, ist nur ein blöder Tag – kein blödes Leben“. Sie hat mit Kompetenz, Ideenreichtum, Authentizität und Durchsetzungsfähigkeit als „Einzelkämpferin“ und inzwischen auch mit Kolleginnen und Kollegen in den 10 Jahren seit Bestehen des IfE viel erreicht, v. a. natürlich in Bezug auf die Unterstützung am Ausbildung- und Arbeitsplatz.

Und nun zum Schwerpunkt der IfE-Aktivitäten, die mit dem Sibylle-Ried-Preis ausgezeichnet werden: der Themenbereich „Epilepsie und Arbeit“ bzw. das Projekt Leben mit Epilepsie in der Arbeitswelt (LEA). Dessen Ziel besteht darin, Menschen mit Epilepsie bei der Berufsorientierung, Arbeitsplatzsuche und -erhaltung in ganz Österreich zu unterstützen. Es wurde ein Procedere entwickelt, der erhöhten Arbeitslosigkeit und erschwerten Integration aufgrund mangelnden Wissens über die Krankheit und entsprechender Vorurteile entgegenzuwirken. LEA beinhaltet die Beratung aller Beteiligten, den Einbezug der Personen am Arbeitsplatz, einen „runden Tisch“, die individuelle Risikoeinschätzung und Aufklärung der Kolleginnen und Kollegen („Solange wir diese Ängste von Chefs und Kollegen nicht wegbringen, ist unser Job nicht erledigt“). Vor allem gelang es Elisabeth Pless, mit und über LEA zusammen mit einer Gruppe aus der Österreichischen Gesellschaft für Epileptologie (ÖGfE), dem Bundessozialamt, der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, dem Arbeitsmarktservice, der Gewerkschaft und Selbsthilfe Leitlinien für Epilepsie am Arbeitsplatz zu entwickeln, die auf der in Deutschland angewendeten DGUV-250 001 basieren.

Der Ansatz von LEA besticht durch ein durchgehend partizipatives Konzept. Einer individuellen Problemanalyse mit an Epilepsie erkrankten Menschen folgen Gespräche mit Arbeitgebern und Kollegen. Neben einer Risikoabwägung werden rechtliche Rahmenbedingungen bis hin zu persönlichen Ängsten vor einer Überforderung durch das Miterleben von Anfällen in die Beratung mit einbezogen. So können Vorurteile sowie Ängste auf beiden Seiten abgebaut werden. Es handelt sich um ein sehr niedrigschwelliges Beratungsangebot, welches am unmittelbaren Bedarf epilepsiekranker Menschen ansetzt.

Die Sprache der Informationsmaterialien ist leicht verständlich, zielorientiert und anschaulich. Die Stärke des Konzeptes ist, dass es sich an den Hindernissen orientiert, die einer Teilhabe von Menschen mit Epilepsie am Arbeitsleben entgegenstehen. Diese Hindernisse werden konkret und alltagsnah angegangen und im Rahmen eines partizipativen Prozesses beseitigt. Insofern fördert dieses Konzept Entwicklungspotenziale nicht nur bei den Betroffenen selbst, sondern auch in ihrem beruflichen Umfeld. Dieser umfassende Ansatz verspricht im Falle eines Erfolges sehr nachhaltige Effekte.

Mit hohem persönlichem Engagement ist es Elisabeth Pless gelungen, dieses Projekt in Österreich strukturell zu verankern. Es rückt das Problem der Arbeitslosigkeit unter epilepsiekranken Menschen ins Bewusstsein und geht es auf verschiedenen Ebenen – so beispielsweise auch im Bereich der Berufswahl von Jugendlichen – an. Das lässt ein hohes Potenzial für Weiterentwicklung erkennen. All diese Kriterien machen LEA überaus preiswürdig.

Dr. med. Günter Krämer

Wegen der coronabedingten Verschiebung der Dreiländertagung der Deutschen und der Österreichischen Gesellschaft für Epileptologie und der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie auf das Jahr 2023 wird die offizielle feierliche Preisverleihung erst während der DGfE-Jahrestagung in Leipzig (27. - 30.04.2022) stattfinden.

STIFTUNG MICHAEL

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